„Fliegst du nach Hause?“ – „Nein, in den Urlaub!“ 

Wenn dein Zuhause für andere nicht dein Zuhause ist

Mekka, 2014 (c) Adnan Ahmad Siddiqi

Hast du schon Pläne? 

Es ist jedes Mal die gleiche Unterhaltung vor der Urlaubssaison. „Hast du schon Pläne für den Urlaub?“ Die Nummer 1 Smalltalk-Frage im Jahr. Dieses Gespräch verläuft grundsätzlich sehr standardisiert ab. Je nachdem ob ja oder nein, hat man schon etwas geplant, über das man erzählen ann, oder man ist eben noch im Entscheidungsfindungsprozess und redet über diesen.

Für Menschen wie mich, die in einem Land geboren, ihre elterlichen Wurzeln aber in einem anderen haben, kann dieses Gespräch mit einem leichten Beigeschmack sein. 

Du fliegst nach Hause! 

„Hast du schon Pläne für den Urlaub?“ – „Ja wir fliegen nach Pakistan.“ – „Ah, du fliegst nach Hause!“ Fliege ich wirklich nach Hause? 

Ich bin in Wien geboren und aufgewachsen, meine Eltern stammen aus Pakistan.

Ja, ich spreche die Sprache, denn als meine Mutter herkam, sprach sie noch nicht Deutsch und so lernte ich die Sprache von Geburt an. Mit Deutsch begann ich erst im Kindergarten im Alter von drei Jahren. 

Wo die Familie lebt

Ja, ich war sehr oft in Pakistan. Meine Eltern waren die einzigen ihrer Familien im „Ausland“, mein Vater kam in den 70er Jahren nach Österreich. Wir verbrachten die kompletten Sommerferien jährlich in Karachi, Pakistan, da alle hier waren. Somit hatte ich auch sehr viel Kontakt mit der Kultur, jedoch blieben wir immer in der einen Stadt, da, wie gesagt, alle hier waren. Mit dem Land als solches hatte ich sonst keine Berührungspunkte. In all den Jahren war es jedoch immer „der Ort, wo die Familie lebt“.

Wie es sich so dann gehört, entstehen mit dem Alter auch eigene Beziehungen, eigene Wurzeln. Ich hab ein „normales Wienerleben“ geführt, wenn man möchte mit „mehr Gewürzen“, denn ich bin mit der pakistanischen Küche aufgewachsen. 

Ich ging in eine normale, städtische Schule, ein öffentliches Gymnasium und eine normale Uni, arbeite hier, habe meine Freunde hier, meine Wohnung, mein komplettes Umfeld. 

Wo ist zuhause? 

Wo ist nun „zuhause“? Dort, wo ich mein Leben aufgebaut habe, wo ich geboren bin, in wessen Sprache ich denke und arbeite? Oder dort, wo meine Eltern her sind und ich deswegen eine andere Hautfarbe habe und ein anderes, kulinarisches Verständnis, mich aber sonst nichts mit diesem Land verbindet? 

Laut Duden:

„Wohnung, in der jemand zu Hause ist [und sich wohlfühlt]; Heim, Wohnung“ 

Laut Wiktionary:

„die Räumlichkeiten, in denen man wohnt“ 

Auch weitere Definitionen sprechen stets von den vier Wänden, in denen man die meiste Zeit seines Lebens verbringt. Es ist nie die Rede vom „Land deiner Eltern, welches dein Aussehen definiert“. 

Diese Punkte gehen einem im Kopf herum, wenn man diese Antwort erhält:“ Ah du fliegst nach Hause!“ 

Das ist meine Antwort:

Nein, eigentlich nicht. Nach Hause fahre ich nach der Arbeit. Ich fliege in die Heimat meiner Eltern, wo sie ihre Wurzeln haben. Für sie wird Pakistan immer „zuhause“ sein, denn hier sind sie aufgewachsen, haben ihre Kindheit verbracht, haben ihre Freunde, ihre Lieblingslokale und vor allem ihre Geschwister. Meine Schwester wohnt auf der anderen Straßenseite von mir! 

Pakistan hat sich für mich nie wie zuhause angefühlt, auch schon nicht in meiner Kindheit. Wieso sollte es auch? Wie kann der Ort, wo ich meine Ferien verbringe zu meinem Zuhause werden? Ja, wenn ich mich entscheide dort hinzuziehen, wäre dem eventuell so. Würde ich dort über das Jahr gesehen mehr Zeit als in Wien verbringen, würde ich den Zusammenhang auch noch eher verstehen. Ich verstehe aber nicht, wie Leute den Schluss ziehen, ich würde „nach Hause fliegen“, wenn sie mich so gut kennen und wissen, ich bin hier geboren.

Für mich war Pakistan immer ein Abenteuerurlaub, eine Art Reise in ein anderes Universum. In meiner Kindheit kannte dort keiner Pizza! Vieles war anders, heute ist es komplett westlich. Marken, Musik, Social Media, alles hat sich verändert. Doch unabhängig davon, es gab keinen Moment in meinem Leben wo ich je das Gefühl hatte, das ist zuhause, hier will ich leben. 

Ich war immer traurig als Kind, dass ich von meiner Familie weggehen musste, dass sie nicht mit mir leben, während hier alle ihre Familie ständig um sich hatten. Doch trotzdem fühlte es sich nie so an, dass ich die Zelte aufbrechen und nach Pakistan ziehen würde. 

Mein eigenes Umfeld wuchs wie ich älter wurde, die Zeit dort zu verbringen, wurde immer kürzer, denn im Berufsleben hat man nun mal weniger Urlaub. Und es gibt zu viel zu sehen und zu erleben, als diese Zeit zu 100% an einem Ort zu verbringen. Natürlich habe ich schöne Erinnerungen in Pakistan und habe immer schöne Momente hier verbracht und erlebt. Es war gut und ist es immer noch, wenn ich hier bin. Aber dann geht’s eben nach Hause.

Das Zuhause in der Religion

Anders wäre es, wenn man sich nicht an von Menschen eigenwillig definierter Grenzen halten würde, sondern die Religion als Basis nehme. Menschen aller Religionen leben überall, es gäbe gar nicht die Frage, ob man „nach Hause fliegt“. Zuhause ist, wo man nun mal lebt

Der Ursprungsort der Religion ist bei allen ein Pilgerort, aber nicht das persönliche Zuhause. Keiner definiert einen Muslim als Araber oder einen Juden als israelisch. Die Religion entstand nicht aufgrund des Ortes, sondern verbreitete sich aufgrund der Personen, die Gott auswählte. 

Der Prophet Mohammed (saws) verwies darauf bereits vor Jahrhunderten in seiner letzten Predigt vor seinem Tod:

„O ihr Menschen! Hört gut auf meine Worte denkt gut nach. Wisst, dass Muslime aller Rassen Brüder sind. Alle Gläubigen sind Brüder. […] Ein Araber ist nicht mehr wert als ein Nichtaraber, noch ist ein Nichtaraber mehr wert als ein Araber; weder ist ein Schwarzer mehr wert als ein Rothäutiger, noch ein Rothäutiger mehr als ein Schwarzer; das einzige Maß der Überlegenheit ist Takwa (Gottesfurcht, Frömmigkeit).“

Man beachte die Wortwahl:“ Alle Gläubigen sind Brüder“. Nicht Freunde! Damit unterstreicht der Prophet Mohammed (saws) nochmals die Verbindung und das Band zwischen jedem. Sie sind Teil einer Familie, denn mit einem Bruder geht man nochmals eine Spur anders um als mit einem Freund. Da ist eine Vertrauensbasis vorhanden, ein gleiches Verständnis. 

Im zweiten Teil hebt er nochmals hervor, dass Herkunft und Hautfarbe keine Rolle für den Umgang miteinander haben. Der Glaube ist die Basis, Grenzen der Menschen seien nebensächlich. 

Wie schön ist dieser Gedanke, dass man Teil einer großen Familie sei! Man muss nicht auf die Hautfarbe achten, man muss nicht überlegen, ob die Person anders aussieht oder eine andere Sprache spricht. Man würde sich an jedem Ort der Welt, jedem Pflasterstein der Straße, allen vier Wänden um einen herum zuhause fühlen.

Wenn andere dich nicht „zuhause“ sehen 

Wie erklärst du dies nun jemandem, der dir eine „angenehme Zeit zuhause“ wünscht?

Ich weiß, die Person sagt es in einem nett gemeinten Kommentar und wünscht mir wirklich nur das Beste und hat dabei vermutlich auch keinen Hintergedanken. Was mir dies aber eindeutig auch sagt, ist dass diese Person, auch wenn sie es bewusst nicht sagt oder denkt, im Unterbewusstsein mich nie als „Österreicher“ akzeptieren kann, denn ich sehe nicht so aus wie sie. Das ist das Messkriterium. 

Dies ist sehr schade, denn trotz allem sind diese Personen sehr aufgeschlossen, setzen sich für alle Menschen ein, haben keine Vorurteile, spenden an Hilfsorganisationen. Am Ende des Tages aber, haben auch sie die Erwartung, dass diese Personen „nach Hause fliegen“. Und das ist schade, denn es stellt die gesamte Aufgeschlossenheit ein wenig in den Schatten.

Ich bin diesen Menschen nicht böse, oder fühle mich verletzt. Ich verstehe mich mit ihnen meist sehr gut und habe ein sehr gutes Verhältnis zu ihnen. Es wird bestimmt noch ein wenig dauern, bis es „bei uns“ in Österreich so weit ist, dass Menschen wie ich als Österreicher akzeptiert werden und es klar ist, wenn ich „bei uns“ sage, ich Österreich und nicht Pakistan meine. 

Wir werden noch durch einige Generationen gehen müssen. Ich spreche hier gar nicht von der Politik, sondern wirklich von den Menschen selbst. Bestes Beispiel ist England, wo schon die fünfte oder sechste Generation verschiedener Herkünfte dort lebt. Diese waren teilweise selbst noch nie im Land ihrer Eltern und es käme ihnen nicht einmal im Alptraum, dass England nicht ihre Heimat sei.

Ich hoffe stark, dass es auch in anderen Ländern eines Tages so sein wird, dass die Zugehörigkeit nicht durch die Herkunft, sondern durch das Heimgefühl der Person bestimmt wird.


2 Gedanken zu “„Fliegst du nach Hause?“ – „Nein, in den Urlaub!“ 

  1. Very well written. I can totally relate to what you have said! But… I have been living in KSA for over 14 years now and whenever I travel to Austria to visit my family I talk to myself and say:”Na endlich fliege ich wieder nach Hause zu meinen Eltern!” I still have this “Home”feeling” when I am in Vienna., even after 14 years . For my kids Austria is a holiday destination.

    It’s a very interesting observation.

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    1. Thank you for your comment! That is true, I also feel Vienna is my „home“, I am more than happy here. It also relates to how much time you spend at one place and which connection is created during this time, with family there and the other way round. That´s why Pakistan also always felt „homey“, it was more because of the people, then the place itself. I still feel happy when I´m there, but I also feel happy when I leave, going „home“ 🙂

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