Der Tag an dem ich erfuhr, dass ich ein Ausländer bin

Moschee in Medina (c) Adnan Siddiqi, Hajj 2014
Moschee in Medina (c) Adnan Siddiqi, Hajj 2014

Ich bin in Wien geboren. Hier findet mein Leben zu 100% abzüglich der Urlaube statt. Meine ersten Worte waren in Deutsch, obwohl meine Mutter keines sprach. Hier erhielt ich meine Bildung, vom Kindergarten bis zur Uni. In dieser Zeit ist mein Freundeskreis entstanden. Ich gehe ins Kino, ich höre Musik, ich spiele Gitarre. Ich bin verärgert, wenn unsere Nationalmannschaft wieder einmal versagt. Bis auf meine Hautfarbe unterscheidet mich äußerlich nichts von meinen Mitmenschen. Doch ich sollte erfahren, dass ich ein Ausländer bin. Wieso? Weil ich an etwas anderes glaube.

Ich habe lange überlegt, ob ich diesen Beitrag schreiben soll. Ich hatte ihn schon länger im Hinterkopf, aber ich wollte nicht, dass es missverstanden wird. Bei diesem Thema geht es mir nicht um Mitleid oder Verständnis für meine Person. Ich möchte aufzeigen, in welche Situation uns die Entwicklung der Gesellschaft gerückt hat und wie ein kompletter Teil der Bevölkerung plötzlich kein Teil der Bevölkerung mehr war.

Ein Kompliment, das keiner will

Stelle dir folgende Situation vor. Du gehst zu einem Bewerbungsgespräch. Du wirst begrüßt und in einen Raum gebracht, erhältst ein Glas Wasser. Dann kommt etwas später die Person in den Raum, welche das Gespräch führen soll. Nach kurzer Vorstellung wird dein Lebenslauf besprochen. Die verschiedenen Stationen, deine Ausbildung, deine Ziele und Vorstellungen, das übliche Gespräch eben. Alles läuft wunderbar, du bist happy und bevor es zum Abschluss kommt, wird dir noch eine letzte Frage gestellt: “Sie sprechen aber sehr gut Deutsch, wie lange sind Sie schon in Österreich?! “ Innerhalb eines Atemzuges, wirst du deiner Identität beraubt. Du bist ein “ gut integrierter Ausländer”, aber kein Österreicher.

“Been there, done that”. Diese Situation habe ich schon mehrmals erlebt, nicht nur in Bewerbungsgesprächen. Die Frage ist mein täglicher Begleiter. Was soll man darauf sagen? Sich bedanken? Auch wenn diese Personen es meistens als Kompliment meinen, ist es aus meiner Sicht ein sehr negativ behaftetes Kompliment. Denn während ich für meine Deutschkenntnisse gelobt werde, wird mit diesem Kompliment nochmals unterstrichen, dass es nach wie vor nicht selbstverständlich ist, dass über 60 Jahre nach der Nachkriegszeit ein Österreicher auch wie ich aussehen kann.

Wieso bin ich anders?

Ich kann mich noch genau erinnern, als mir das erste mal bewusst wurde, dass ich als “anders” wahrgenommen werde. Ich war vielleicht 14-15 Jahre alt. Wir sprachen im Unterricht über verschiedene Nationen. Ich weiß den Zusammenhang nicht mehr aber im Laufe der Diskussion sagte ich auf einmal “aber die haben auch eine andere Hautfarbe als WIR!”. In dem Moment schaute mich jemand an und lachte “wie wir ist gut! “. Ich verstand nicht, wieso sie lachen musste und schaute sie verwirrt an. Bis ich dann meine Hand sah und zum ersten Mal realisierte, dass ich nicht so wahrgenommen werde, wie ich mich selber sehe.

Damals war alles noch einfach. Ich nahm es wahr, aber es verging wieder.

Wo es mir dann tatsächlich bewusst wurde, war im Bundesheer. Hier wurde ich das erste Mal als “Ausländer” bezeichnet. Ich wurde mit einer Gruppe von Türken, Arabern und Afghanern zusammengelegt, weil wir ja “dasselbe” sind. Bis dato hatte ich noch nie mit Personen dieser Länder zu tun. Mein Freundeskreis bestand zu 90% aus “echten” Österreichern.

Aber auch das verging. Es war eine fixierte Zeit in einem gewissen Rahmen, welche fernab von jeglicher Realität stattfindet. Somit kann man dies auch für sich irgendwo im Hinterkopf ablegen und abschließen.

Der Beginn einer neuen Wahrnehmung

Der Tag an dem sich alles ändern sollte, war der 11. September 2001.

Als es geschah, sah ich es wie jeder andere im TV. Eine furchtbare Tat. In dem Moment war mir noch nicht bewusst, welche Auswirkungen es auf mein Leben haben würde. Ich war wütend und entsetzt zugleich, wie so eine Tat geschehen konnte.

Aber dann ging es los: “Von wo bist du? Wieso glaubst du an den Islam? Findest du es gut was die machen? Wieso machen sie es? Was ist das für ein Gott?”

Seit diesem Tag sollte es für niemanden jemals wieder selbstverständlich sein, dass ich Wiener bin oder gar in Wien geboren wurde. Ich wurde zum Ausländer.

Egal, wo ich heute hingehe oder wen treffe, sei es beruflich oder privat, der Start des Smalltalks ist immer mit meinem Hintergrund. Wenn ich einkaufen gehe, ist es selbstverständlich, dass ich kein Deutsch spreche. Ich werde oft in Englisch angesprochen.

Selbstverständlich ist es auch eine positive Entwicklung, dass heute die Bereitschaft besteht, Englisch zu sprechen. Für den Tourismus ein klares Plus. Es ist auch Ok, dass ich an den Tourismus-Plätzen oder auf dem Flughafen auf Englisch angesprochen werde, es ist nun mal schwer zu unterscheiden.

Aber ich bin überall anders? Es ist diese grundsätzliche Haltung die man schon aus der Ferne im Gesicht der Personen sieht. “Diese Person spricht kein Deutsch, sie ist kein Österreicher.” Es sollte selbstverständlich sein, dass ich perfekt Deutsch spreche, denn ich bin Österreicher.

Ich wünschte die Leute würden dies verstehen. Ich will nicht dafür gelobt werden, wie akzentfrei ich spreche oder wie gut ich integriert bin. Ich will so behandelt werden wie jeder andere, denn ich bin nicht anders.

Würden wir anstelle vom “Österreicher mit Migrationshintergrund” oder “gut integrierten Ausländer” einfach vom “Österreicher” sprechen, wäre vieles einfacher.

Hier glaube ich auch, liegt das meiste Potential, welches momentan nicht genutzt wird. Würden wir jeden von uns so behandeln, wie wir selber behandelt werden möchten, wäre vieles einfacher und besser.

Ist die Religion entscheidend für deine Nationalität?

Stattdessen stellen sich Politiker bei uns ins Fernsehen und schreien “Der Islam hat nichts in Österreich verloren!”.

Dies ist mit Abstand eine der rassistischsten Aussagen, die ich je gehört habe. Und sie wird immer wieder von Politikern propagiert. Erstens, wie kann man so etwas sagen und zweitens, wie kann man so einer Aussage zustimmen?

Der Islam ist seit über 100 Jahren in Österreich anerkannt. Seit diesem Moment leben Muslime hier. Viele Muslime sind in der dritten oder vierten Generation, mittlerweile gibt es auch eine recht große Community von Konvertierten Muslimen.

Wir leben im Jahr 2017, im Zeitalter der Globalisierung, einer grenzenlosen Welt. Es sollte selbstverständlich sein, dass die Hautfarbe oder die Religion nicht über die Nationalität entscheiden. Es sollte logisch sein, wenn ich gesehen werde dass ich Österreicher bin. Aber dank der Politik und der negativen Pressestrategie, wird Hass gefördert und projiziert. Es wird sich nicht ändern, solange wir es nicht ändern wollen.

Meine Religion und Hautfarbe sollten nicht ausschlaggebend dafür sein, ob ich Österreicher bin oder nicht.

Egal, von wo jemand kommt, seien wir doch froh, dieses Leben führen zu können, Nachbarn zu haben und gemeinsame Momente teilen zu können. Wann werden wir aufhören, Rassen, Religionen und Kulturen als Gründe für Angst und Hass zu sehen? Nützen wir doch die Unterschiede, um unser Leben zu bereichern, anstatt es einzugrenzen.

Eine Frage wurde mir nie gestellt, aber ich beantworte sie jetzt einfach einmal: Was denkt der Islam über Ausländer?

Araber oder Nicht-Araber, dass ist nicht die Frage

Dazu gibt es eine klare Aussagen des Propheten Mohammed (saws), welche er in seiner letzten Rede vor seinem Tod getroffen hat, um den Menschen klar zu machen, wie sie miteinander umgehen sollen, wenn er nicht mehr da ist, um sie zu leiten:

Oh ihr Menschen!  Euer Gott ist Einer und euer Stammvater (Adam) ist einer.  Ein Araber ist nicht besser als ein Nicht-Araber, und ein Nicht-Araber ist nicht besser als ein Araber, und ein roter (d.h. weiß mit rötlichem Schimmer) Mensch ist nicht besser als ein schwarzer Mensch und ein schwarzer Mensch ist nicht besser als ein roter Mensch, außer in der Frömmigkeit.

https://www.islam-guide.com/de/ch3-12.htm


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